Hans-Peter Ziereisen traf 1995 die (zumindest für die Weinwelt) goldrichtige Entscheidung, seinen Job als Zimmermann sprichwörtlich an den Nagel zu hängen und sich die ersten Weinberge zu pachten. Dort begann er dann als Autodidakt seine Karriere als Winzer. Seitdem sorgt er im badischen Dreiländereck (Deutschland, Frankreich und Schweiz) für mächtig Aufsehen. Inzwischen wird er als der Gutedel-Papst Deutschlands gehandelt. Was allen seinen Weinen innewohnt, ist, dass sich Hans-Peter nicht um Konventionen sorgt oder sich in Schubladen stecken lässt. So sind alle seine Weine nur als „Badischer Landwein“ klassifiziert, was ihm in Sachen Weinbereitung alle Freiheiten lässt. Immerhin muss sein Wein nicht schmecken, wie es sich die Jury vorstellt, um das Prädikat „Qualitätswein“ zu erhalten. Seine Weine sind durch die Bank echte Charakterköpfe. Alle Weine werden selektiv von Hand gelesen, die Gärung erfolgt unter dem Verzicht auf Reinzucht- oder Aromahefen, der Most steht lange auf der Maische um Tannine und Gerbstoffe aus den Trauben zu mazerieren (übrigens auch bei seinen Weißweinen), der Ausbau erfolgt in großen Holzbehältern und die Abfüllung ohne jeglicher Filtration. Er hat keine Angst, mit seinen Weinen anzuecken. So gibt es neben seiner großen Fangemeinde auch immer wieder Weintrinker, die mit seinen Weinen nichts anfangen können, oder diese einfach nicht verstehen. Große Kunst offenbart sich nicht immer jedem sofort und polarisiert eben manchmal. Wer sich allerdings auf fehlende Konventionen und seinen ureigenen Weinstil einlässt, kann mit den Weinen von Ziereisen wahre Sternstunden erleben.
So z. B. seine Visitenkarte, der Heugumber (im lokalen Dialekt die Bezeichnung für Heuschrecke) hat mit dem einfachen, süffigen und säurebefreiten Gutedel beinahe nichts zu tun. Wikipedia weiß über Gutedel folgendes zu berichten „Der Wein ist ein leichter, süffiger, frischer, fruchtbetonter und anregender Weißwein von blassgelber Farbe, der überwiegend trocken ausgebaut wird“. Gut, zumindest mit „trocken“ muss man Wikipedia Recht geben. Während in Deutschland bis zu 9 Gramm Restsüße für die Bezeichnung „trocken“ zulässig sind, was viele seiner Kollegen auch ausnutzen, begnügt sich Hans-Peter bei seinem „Heugumber“ mit sage und schreibe 0,4 Gramm Restsüße. Wer denkt, dass ein vollkommen durchgegorener Wein aus einer heißen Gegend und einem heißen Jahrgang gleichzeitig mit viel Alkohol wuchern müsste der täuscht sich an dieser Stelle. Gerade einmal 11,0 % vol. bringt der Heugumber auf die Waage. Optisch lädt er mit einem dezenten Strohgelb ein, was zuerst die Erwartung an einen schwereren Wein weckt. Aromatisch weit weg von den typischen gelben Früchten, die man sonst von Gutedel kennt. In der Nase dominieren stattdessen getrocknete Blüten, Äpfel, etwas Heu, Nüsse, Honig und in wenig Anis. Sehr spannend. Am Gaumen setzt sich das Spektakel fort: Während der Antrunk zuerst nur mittelkräftig wirkt stellt sich nach wenigen Sekunden ein herzhafter, beinahe warmer Schmelz ein, der von sehr steinigen, beinahe salzigen Terroirnoten getragen wird und in einem (besonders für diese Preisklases) beeindruckend langem Abgang endet. Ein kleiner Touch Holz rundet das Geschmackserlebnis ab. Während der Heugumber übrigensvor allem zur Spargelzeit eine gute Figur macht, läuft er gerade in der Pilz- und Kürbissaison wieder zur Hochform auf.Selbst dem berühmten Wine-Advocate war das 90+ Punkte wert. Chapeau!
Doch Hans-Peter kann nicht nur Gutedel. Auch seine Grau- und Weißburgunder tragen das "Burgund" im Namen zurecht. "Stilistisch zwischen Burgund und nördlicher Rhône einzordnen" wusste unser Kollege und Grauburgunder-Verächter Stefan zu berichten. "Die erste Flasche Grauburgunder, die ich mir je gekauft habe". So kann es gehen. Auch seine Rotweine müssen den Vergleich in das noble und um ein vielfaches teurere Burgund nicht scheuen. Probieren lohnt sich!